Cannabisseur: Jobs in der Cannabis-Branche

Jake Browne

„Du änderst die Dinge niemals, indem du das Bestehende bekämpfst. Du änderst etwas, indem Du eine neue Welt errichtest, die das bestehende Modell überflüssig macht“. Buckminster Fuller

Sobald Cannabis in Deutschland legalisiert ist, wird sich um Zucht, Anbau, Verkauf, Verwertung, Bewerbung und Verteidigung der Pflanze eine komplette Branche formieren. Wer jetzt den Mut hat, an die Zukunft des Hanf in Deutschland zu glauben, kann sich mit unserer Serie schlau machen, welche unternehmerischen Aufgaben zwischen den Buds warten.

Teil I:
Potjournalist und Cannabisseur

Ich weiß jetzt, was ich werden will, wenn ich groß bin: Weed-Sommelière . In Deutschland, wohlgemerkt. Und nebenbei mache ich weiter, was ich eh schon mache, aber zusätzlich hätte ich noch Jake Brownes Job, das wäre mir das Karma schuldig: Pot-Journalistin, Sparte: Kritikerin. Bei der TAZ. Tagträumend stelle mir vor, die Vernunft würde siegen und einen Genuss aus dem Schatten der Kriminalität auf das verdiente Podest der Kultur rücken – wie mit der Liberalisierung des Cannabis in Colorado geschehen. Dort lebt Jake Browne. Dort kifft Jake Browne. Und dort verdient er seine Joints mit übers Cannabis Schreiben, als wäre er der Robert Parker des Marihuana.

Was mich an der ganzen völlig sinnlosen, weil früher oder später sich doch in Rauch auflösenden Cannabis-Dämonisierung am meisten aufregt, ist die dabei verloren gehende Kultur. Die Hanfzucht, die Anbaumethoden, seine Veredelung und Verwertung, die Sorten- und Genussvielfalt, die sich aus seiner Kultivierung erschließen, stehen der von Wein, Kaffee und Kakao in nichts nach.

Für einen Menschen, der fasziniert ist von den komplexen systemischen und dabei atemberaubend ästhetischen Wechselwirkungen zwischen Pflanze und Mensch; der es liebt, über sinnliche Erlebnisse und lokale Kulturphänomene, nachhaltiges Wirtschaften und alternative Heilungsmethoden zu recherchieren und zu schreiben, ist die hiesige Cannabis-Illegalität ein Stachel im journalistischen Fleisch. Gut zu wissen also, dass es nichts weiter braucht, als die Entkriminalisierung des Weed, damit eine mehrfach mit dem Pulitzerpreis gekrönte Mainstream-Zeitung wie die Denver Post sich ihren eigenen Marihuana-Autor leistet – Jake Browne.

Cannabis-Kritiken lesen sich auch nicht anders als Wein-Rezensionen

Jake Brown ist der wahrscheinlich erste, bei einer national vertriebenen Zeitung beschäftigte Weed-Journalist der Welt. Und er schreibt keine kämpferischen Aktivisten-Artikel über die Verbohrtheit des Rechtssystems oder halbverbrämte Anbautipps für den heimischen Schrank, immer am Rande der Legalität entlang schrammend… nein, er kann sich ganz und gar auf detaillierte Rezensionen ausgewählter Cannabiszüchtungen und deren Wirkung spezialisieren, die einer typischen Bordeaux-Besprechung in nichts nachstehen. Beispiel gefällig? Hier seine Empfehlung für die Sorte „Sour Chunk“ (in Auszügen, meine Übersetzung):

Sour Chunk„Wegen der Aromenkomplexität schnell zum Favoriten aufgestiegen, fordert Sour Chunk den Gaumen ähnlich heraus wie ein perfekt gebrautes, obergäriges Bier. Das liegt maßgeblich am Deep Chunk Anteil, der einen Teppich aus nussiger Schokolade und frischgerösteten Kaffee-Aromen ausbreitet, hinter dem aber noch die milde Energie des ECSD (East Coast Sour Diesel) wartet. Sour Chunk kifft sich wie eine Stadt: vielschichtig und rauchig, seiner Natur nach süchtig machend. Sour Chunk wird auf dieselbe Art liebevoll hergestellt, wie in handgefertigter Marmelade oft „Liebe“ als erste Zutat genannt wird. Zwischen den orangenen Häärchen finden sich gerade die richtige Menge lilaner Sprenkel. Wenn zusammengepresst, gibt Sour Chunk mit der wünschenswerten Elastizität von leicht gealtertem Marshmellow nach.“ (Quelle: http://www.thecannabist.co/2015/09/03/sour-chunk-marijuana-review/40277/)

Ganz klar, das Ganze hat den leicht intellektualisierten Touch von Genuss-Elitismus – aber Jake Brownes Leser bei der Denver Post lieben seine Beiträge, die er seit der Legalisierung des Kiffens in Colorado 2012 verfasst. Dabei will Browne keinesfalls abgehoben rüberkommen – aber dem Hanf eben auch die verbale Fürsorge zukommen lassen, die diesem faszinierenden Gewächs zusteht.

Pot-Journalismus ist aufgespannt zwischen High und Analyse

Colorado hat nicht nur Millionen an zusätzlichen Steuereinnahmen durch das frei verkäufliche Canabis eingenommen – es sind auch Hunderte neuer Jobs entstanden und noch dabei, zu entstehen. Dutzende junger Entrepreneure haben Shops aufgemacht, eine eigene Cannabis-Universität hat sich etabliert und eine neue Journalismus-Nische macht sich auf.

Wie kann der vor Neid erblassende Leser sich einen Tag im Leben des Jake Browne vorstellen? Dauerbreit? Im Gegenteil. In Interviews klingt das Ganze durchstrukturiert und nach harter Arbeit…zumindest fast. Nach seinen Kiff-Gewohnheiten gefragt, gibt Browne an, gar nicht jeden Tag rauchen zu dürfen – sonst würde er seinen Toleranz-Level gefährlich hochschrauben. Aber er will ja noch nachvollziehen können, wie eine bestimmte Sorte Cannabis auf Konsumenten wirkt, die vielleicht schon jahrelang nicht mehr gekifft haben. Liest man seinen Blog, wird allerdings klar, dass Kiffen auch in Brownes Freizeit und privatem Leben einen hohen Stellenwert hat – ja, dass er es durch sein Wissen sehr bewusst und gezielt einsetzt, um etwa soziale Situationen zu lenken.

Wöchentlich streift Browne durch die Weed-Shops in Denver, auf der Suche nach interessanten Cannabis-Sorten und essbaren Delikatessen, die er auch (seltener) bespricht. Wichtig sind ihm Aussehen, Aroma, Geschmack, die Art des Highs mit dem ganzen emotionalen und körperlichen Wirkungsspektrum sowie das Gefühl des Runterkommens. Er sieht sich dabei nicht nur als Kritiker, sondern möchte auch zur generellen Hanf-Aufklärung beitragen – vor allem für potenzielle Konsumenten, die sich ans Kiffen noch nicht ganz heran trauen. Deshalb wählt Browne hauptsächlich Sorten für seine Rezension, die auch über Denver (und Colorado) hinaus zu haben sind.

Gras Station Denver

Die „Grass Station“ in Denver – eine Bezugsquelle von Jake Browne

Hinter dem Wahnsinn steckt Methode – die den Wahnsinn endlich normal erscheinen lässt

In der Art, wie er seine Pflanzen-Kritiken formuliert, wird klar: Browne will vom Kiffer-Cliché weg und der Welt die Komplexität des Cannabis erschließen. Dafür hat er eine Methode entwickelt, nach der er Schritt für Schritt neue, getrocknete Ware beurteilt. Zuerst wird sie einer eingehenden optischen Untersuchung ausgesetzt: Zunächst einmal muss sie frei sein von gänzlichem Ungeziefer, Schimmel oder Mehltau natürlich. Dann folgen die Rückschlüsse auf die Sorgfalt in der Verarbeitung: Wie ist der Schnitt, wie lange wurde sie getrocknet, wie viel Restfeuchte ist spürbar? Wie ist die Anatomie der Pflanze, wie groß sind die Buds, wie die Kristalle angeordnet?

Auch der Geruch darf keine Hinweise auf falsche Lagerung oder verwendete Chemikalien aufweisen. Darüber hinaus, sagt Browne, hat das Aroma aber Schattierungen, derer man sich zunächst nicht bewusst sei, für die die Nase geschult werden müsse. Genau wie Weintester, bemüht Browne viele bildliche Metaphern, um dem Leser das olfaktorische Universum jeder Sorte nahezubringen – da mischen sich frische Piniennoten mit dem leichten, typischen Geruch von Tennisbällen und Zitronendüfte mit Manderinen-Aroma. Dann natürlich: Der Geschmack. Er muss im Einklang mit dem Geruch stehen, sagt Browne.

Erst jetzt beschreibt Browne, der meist Glaspfeife raucht, das High. Auch hier unterscheidet er minutiös den ersten Hit vom länger andauernden Gefühl. Taucht ein Hungergefühl aus, ist es angenehm oder unbezwingbar, ist die Wirkung eher euphorisierend oder chillig, wird man redselig und gesellig oder eher völlig entspannt, fast meditativ – und könnte sich hier ein Kandidat für Paranoia-Attacken verstecken? Manchmal beschreibt er auch die Fähigkeit des Weed, Schmerzen oder andere Krankheitszustände abzumildern. Während er kifft, notiert Browne sich Stichworte – die Review als ganzes schreibt er erst am Tag nach der Weed-Session.

Der Charme an Cannabis Jobs: Sie per Definition für Quereinsteiger gemacht

Browne kifft, seit er 16 ist – legal allerdings, als Besitzer einer „Medical Card“ mit der Diagnose Migräne und Schmerzzustände. Seine Karriere zum Cannabisseur war keine gradlinige – wie auch, dem Beruf hängt ja noch die Nabelschnur um den Hals.

Browne verließ die High School ohne Abschluss und versuchte sich in Italien als Model. Danach kam er nach Iowa zurück, holte ihn nach und zog nach Colorado. Er arbeitete als Barkeeper, als Rapper, als Stand-up Comedian und landete schließlich in einer Ausgabestelle für medizinisches Marihuana als Buchhalter. Seitdem blieb er der Branche treu, als Berater, Social Media Manager oder Blogger, immer im Dunstkreis des Cannabis. Zuletzt war er Einkäufer, der Posten, der ihn auch zu dem Pot-Profi machte, der er heute ist. Doch erst als die Denver Post im Zuge der Cannabis-Legalisierung nach einem Cannabis Kritiker suchte, fing Browne mit dem Schreiben an. Er sagt selbst: Ohne die Legalisierung wäre ich kein Autor geworden.

Was empfiehlt Browne anderen, die seinen Weg einschlagen wollen? Sie sollten über einen sehr guten Geruchs- und Geschmackssinn verfügen und diesen bereit sein, zu kultivieren. Ebenso wichtig ist der Spaß am Recherchieren, denn ein profundes Wissen über Sorten und Herstellungsprozesse ist entscheidend. Ansonsten unterscheidet sich der Job nur marginal von dem anderer Genussmittel-Kritiker, wie auch Ricardo Baca, der Cannabis Editor der Denver Post sagt: „Wir haben einen Restaurant-Kritiker, Wein-Rezensenten, einen preisgekrönten Blog über Craft-Biere. Wenn wir dieser Logik folgen, brauchen wir eben auch einen Cannabisseur – wenn nicht mehrere“.

Browne wird nicht der letzte schreibende Cannabisseur in Colorado sein. Soeben hat die Universität von Denver Hanf offiziell zum journalistischen Thema erklärt und bietet mit dem Kurs „Cannabis Journalism“ ein Seminar an, dessen erste Stunde den schönen Titel trägt: „Cannabis Journalism: Covering and Reporting on America’s New Normal“. Was für ein großartiger Tag wird es werden, wenn ich meinen ersten Artikel mit eben dieser Überschrift werde veröffentlichen können: „Cannabis: Deutschlands neue Normalität“.