Kiffen wird zum Genuss
In vielen Fällen ist die Anlehnung Deutschlands an die USA wenig intelligent, wie die Inhalte der gegenwärtigen TTIP-Verhandlungen zeigen. Manchmal allerdings sind in den Vereinigten Staaten Entwicklungen zu beobachten, von denen Vorbildcharakter ausgeht – der gegenwärtige politische und kulturelle Umschwung Richtung Cannabislegalisierung ist eine davon. Während die Droge im amerikanischen Bundesdrogengesetz nach wie vor gleichgesetzt wird mit Kokain oder Heroin, macht die politische Praxis einzelner Bundesstaaten den Gesetzestext langsam zu einer reinen Floskel.
Clubs, Bars und Pot-Parties
Dabei unterscheiden die Staaten sich hinsichtlich der Behandlung von Cannabis zur medizinischen Behandlung und als Genussmittel. Während inzwischen in 23 Bundesstaaten Medikamente mit THC-Wirkstoffen verschrieben werden können, lassen bisher nur Washington (ironischerweise) und seit dem 01. Januar 2014 auch Colorado das Kiffen zu Erholungszwecken zu. Dort gibt es nicht nur in Clubs und Bars sogenannte Pot-Parties, auf denen unbegrenzt gekifft werden darf; auch die Genussmittelindustrie hat sich schnell auf die neue Freiheit eingestellt und bringt vor allem Süßigkeiten mit THC-Gehalt auf den Markt (ein Trend, der zumindest im Hinblick auf den möglichen Konsum durch Kinder eher problematisch sein dürfte).
Kiffen auf Rezept
Allerdings sind auch in Bundesländern, in denen das Kiffen bzw. der THC-Konsum bisher nur auf Rezept erlaubt sind, Aufweichungen zu beobachten. Manchmal reicht es etwa in Kalifornien schon, mit einem leichten Schmerzbefund zum Arzt zu gehen, um THC verschrieben zu bekommen. Die entsprechend liberal eingestellten Ärzte haben für diese Praxis bereits den Spitznamen ‚Green Doctors‘ verpasst bekommen.
Interessant ist die graduelle Verschiebung der öffentlichen Meinung, die mediale Behandlung des Themas und die zunehmende Rolle von Cannabis als Wirtschaftsfaktor. 54% aller Amerikaner sind für die grundsätzliche Legalisierung von Marihuana und 76% dagegen, dass auch unter den gegebenen Umständen jemand für den Erwerb oder Besitz kleinerer Mengen zum Eigengebrauch verhaftet werden sollte. 69% halten Alkohol für weitaus schädlicher und gesellschaftlich destabilisierender als Cannabis. Allerdings sprechen sich 63% gegen das Kiffen in der Öffentlichkeit aus; 57% hätten allerdings nichts dagegen, wenn in ihrer Nachbarschaft Cannabis legal über den Ladentisch gehen würde.
Die an sich eher konservative „New York Times“ hat das Thema ebenfalls aufgegriffen und ihm mehrere Leitartikel gewidmet. Vor allem der offensichtliche Widerspruch zwischen Bundes- und Bundesstaatengesetzen stößt auf Kritik. Während in Colorado etwa professionelles Züchten erlaubt ist, stellt das Bundesgesetz Besitzern von mehr als 1.000 Pflanzen THC-haltigen Cannabis bis zu zehn Jahre Haft in Aussicht. Bereits jetzt haben die entsprechenden Stellen im Weißen Haus zwar deutlich gemacht, dass sie die Bestimmungen der einzelnen Bundesstaaten respektieren würden, solange diese nicht zum regen Handel mit Nachbarstaaten führen und Jugendliche offensichtlich zum vermehrten Kiffen verführen würden. Eine Rechtssicherheit entsteht dadurch aber rein gesetzlich nicht, so auch die New York Times.
Gerade solche unhaltbaren Kompromisse zeigen jedoch, dass die Legalisierungswelle in den USA nicht mehr aufzuhalten ist. 36 der 50 Bundesstaaten arbeiten derzeit an einer Liberalisierung ihrer Drogengesetze. Wie auch in Deutschland beginnen die meisten niedrig-schwellig, indem sie den Besitz von Cannabis zwar weiter als illegal einstufen, tatsächlich aber gefundene Mengen zum Kiffen im Eigengebrauch nicht mehr strafrechtlich verfolgen. Dies kann sich in vieler Hinsicht positiv auswirken in einem Land, in dem die Kriminalisierung vor allem farbiger Jugendlicher in vielen Fällen mit einer Verhaftung wegen Cannabisbesitzes oder Handels ihren Lauf nimmt.
Auch Präsident Obama hat konsumiert
Präsident Obama selbst hat nicht nur zugegeben, in jungen Jahren selbst gekifft zu haben. Er verurteilt diese Angewohnheit zwar inzwischen als „Zeitverschwendung“, hat aber im Januar diesen Jahres in einem Interview mit dem Intellektuellenblatt ‚New Yorker‘ die Colorado-Regelung befürwortet und Alkohol als die weitaus gefährlichere Droge bezeichnet. Auf seiner eigenen Agenda aber steht eine Legalisierung nicht; diese Aufgabe überlässt er dem Kongress.
Dabei spielt mit Sicherheit ein Aspekt eine nicht unbedeutende Rolle: Denn nicht nur würde im Falle einer flächendeckenden Legalisierung illegalen Dealern eine Existenzgrundlage entzogen. Gleichzeitig könnten Milliarden an Steuereinnahmen auf den amerikanischen Staat zurollen. Bereits für 2014 werden die legalen Einnahmen aus dem Verkauf von Cannabis und Cannabisprodukten auf 2,6 Milliarden geschätzt – es lässt sich ausrechnen, was dabei beim Staat bleibt. Colorado allein hat seit der Legalisierung bereits Mehreinnahmen in Höhe von 25,3 Millionen Dollar an „Kiffersteuer“ verzeichnet, die sich bis Juni nächsten Jahres auf etwa 60 Millionen erhöhen sollen. Dabei knüpft der Staat nur an eine alte Tradition an. Ende der 1930er nämlich, als Kiffen und Cannabis noch völlig legal waren, erhoben die USA bereits schon einmal eine Umsatzsteuer auf die Droge.