Cannabis für Schwerkranke legal
Im Rückblick wird der Juli 2014 wahrscheinlich als einer der entscheidenden Durchbrüche in der Legalisierung von Cannabis in Deutschland betrachtet werden. Denn in diesem Monat hat das Kölner Verwaltungsgericht drei chronisch kranken Patienten den Eigenanbau von Cannabis gestattet. Selbstverständlich sind die flankierenden Auflagen immer noch immens – und die Erlaubnis mit rigorosen Einschränkungen verbunden.
Fünf chronisch Schwerkranke hatten gegen das behördliche Anbauverbot geklagt. Ihr Argument: Außer den im Cannabis enthaltenen Wirkstoffen helfe kein anderes für sie bezahlbares Medikament gegen ihre Schmerzen. Zwar führte der Vorsitzende Richter Andreas Fleischfresser in seiner Urteilsbegründung deutlich aus, dass die private Anzucht von Cannabis nur eine „Notlösung“ und im Grundsatz nach wie vor strikt verboten sei. Eine Reihe von Parametern müssen unmissverständlich gegeben sein, damit ein Rechtsanspruch auf eine entsprechende Ausnahme entstünde.
Voraussetzungen für das Cannabis Medikament
Zunächst muss ein Patient aus-therapiert sein und auch von den behandelnden Ärzten keine Behandlungsalternative zu Cannabis mehr empfohlen werden. Das an sich ist eine relativ komplexe Voraussetzung, vor allem bei Schmerzpatienten. Es bedeutet im Endeffekt, dass ein Patient über einen längeren Zeitraum nicht auf Behandlungen anspricht, die nach medizinischer Einschätzung eine Besserung oder Heilung des Leidens hätten herbeiführen müssen. Häufig ist dieser Punkt auch erreicht, wenn eine Heilung unrealistisch erscheint und nun nur noch über palliative Therapieformen nachgedacht wird – zu denen Cannabis in diesem Zusammenhang zweifelsohne gehört.
Zusätzlich hat das Urteil auch noch eine interessante, soziale Komponente. Der Cannabis-Eigenanbau wird nämlich nur dann zugelassen, wenn der Kranke keine Möglichkeit hat, sich die Kosten für pharmazeutisch hergestellte Cannabis-Fertigarznei aus der Apotheke zu leisten. Diese wird nur in sehr seltenen Fällen von den Krankenkassen getragen.
Einer der klagenden Parteien erging es so. Der Berliner leidet seit einem Unfall unter starken Schmerzen, aber eben auch unter den Nebenwirkungen konventioneller Schmerzmittel. Zwar hat er die Erlaubnis erwirkt, reine Cannabisblüten über eine Apotheke zu beziehen und so an das schmerzlindernde Tetrahydrocannabinol (THC) zu kommen. Doch beim für ihn notwendigen Genuss von einem Gramm täglich, kämen monatliche Kosten von 400 Euro zusammen – eine für ihn nicht zahlbare Eigenleistung. Er reichte also 2010 einen Antrag auf Eigenzucht beim BfArM ein – mit dem Hinweis auf die Nutzung eines entsprechend umgerüsteten Anbauschrankes. Doch die Behörde lehnte ab, aus dem generellen Grund, dass der Anbau mit erheblichen gesundheitlichen Risiken behaftet sei und der Konsum Über- oder Unterdosierung gefährlich sein könne. Ob sie damit meinte, dass man sich mit der Rosenschere schneiden könnte oder gesteigerter Appetit in Fressattacken münden könnte, blieb unklar.
In der Praxis bedeutet das richterliche Urteil zwar noch nicht, dass die drei Verfahrensgewinner (zwei weiteren Klagenden wurde nicht Recht gegeben) sofort die Samen in die Erde stecken dürfen. Das Gericht hat vielmehr die zuständige Bonner Genehmigungsbehörde angewiesen, ihre Ablehnung der Anträge zu überprüfen. Gleichzeitig ergeht an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die grundsätzliche Vorgabe, den Eigenanbau für die drei Antragsteller zu erlauben. Die Umstände können von den Behörden noch ausgestaltet werden – etwa, wenn es um Fragen der Sicherheit (wie schützt man sich vor Einbrechern, die kübelweise kiloschwere Cannabispflanzen aus Wohnräumen schleppen wollen?) und den Umständen des Anbaus geht. Allerdings müssen auch diese Anforderungen in einem „vernünftigen Verhältnis zu der Gefahr stehen, die von Cannabis ausgeht“, so Richter Fleischfresser – eine Gefahr etwa, die mit der von Waffen ausgehenden nicht zu vergleichen sei, die schließlich auch in Privatwohnungen aufbewahrt werden dürfen.
Die Probleme: Theoretisch muss nun jeder Schmerzpatient sich das Recht auf Anzucht einklagen. Außerdem hat nicht jeder chronisch Kranke die physischen Ressourcen, den Cannabis zuhause selbst zu züchten. Das Urteil selbst ist also wohl nur ein Meilenstein hin zu einer notwendigen (weil logischen) Preissenkung für Cannabisprodukte aus der Apotheke und einer regulären Kostenübernahme durch die Krankenkassen – das formuliert auch der Richter selbst so. Es bricht allerdings eine juristische Schallmauer auf. Denn wenn Ausnahmen grundsätzlich möglich werden, ist dies historisch betrachtet in den meisten Fällen ein Indiz für eine bevorstehende, generelle Aufweichung und schlussendlich Aufgabe eines (in diesem Fall immer schon grundrechtlich fragwürdigen) Gesetzes.
Update 09.09.2014
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat Berufung beim Oberverwaltungsgericht in Münster eingelegt. Aus Protest gegen die Berufung sind sechs chronisch Kranke, für die der Cannabis-Anbau eine finanzielle Erleichterung wäre, in den Hungerstreit getreten. Mediziner kritisieren das durch die Berufung eine finanzierbare Behandlung nur unnötig hinaus gezögert wird. Auf der Internetseite des deutschen Bundestags wurde eine Petition (Nummer 52664) eingereicht damit die Bundesregierung Maßnahmen ergreift um die Behandlung auf Cannabisbasis bezahlbar zu machen. Die Petition kann hier unterstützt werden.
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